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  • Galerie und Kulturzentrum in Weimar
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Ausstellungen

Denunciation!

29. Atelierprogramm der ACC Galerie und der Stadt Weimar

Ausstellung Fr., 02.02.2024–So., 21.04.2024

Lesedauer etwa 2:02 Minuten

Die Untugend der Denunziation als Instrument sozialer Kontrolle aus niedrigen Beweggründen mit nicht verantwortbaren Folgen hat seit jeher bis in die Coronagegenwart Tradition in Europa, Deutschland, Thüringen, Weimar. Als Kommunikationsstrategie dient sie oft der Ausgrenzung Einzelner, macht Gesellschaft und Individuum krank, trägt die Züge einer Leidenschaft, ist eine anthropologische Größe, eng mit Neugier, Gerücht, Klatsch, übler Nachrede und Verrat verbunden, strafbar und jederzeit allgegenwärtig. Auch wir sind also gefährdet, denn eine besondere kriminelle Energie wie jene eines Straftäters ist zur Denunziation nicht erforderlich — sie ist für jedermann verlockend, der Übergang vom unauffälligen Normalbürger zum Denunzianten fließend.

Zum denunziatorischen Tun verführen uns gesteigertes Geltungsbedürfnis, gewecktes Kontrollgefühl und wachgerufene Herrschsucht, kurz und gut eine potenziell in uns schlummernde Blockwartmentalität. Nicht politische Hintergründe sind häufig Ursache einer „gängigen“ Denunziation, sondern versteckte private Motive wie Neid, Missgunst, Verbitterung, Rachegefühle und Eifersucht.

Wenn man anders wenig Einfluss ausüben kann, reizt offenbar die Möglichkeit, sich eines Konkurrenten entledigen oder durch eine einfache Aussage Macht gegenüber einer vorgesetzten Person ausüben zu können. Die Chance, die Rolle des unbemerkten, machtlosen Zeitgenossen mit der einer einflussreichen Person zu tauschen und von der Seite der Verlierer auf die der Gewinner zu wechseln, ist so stark, dass sittliche und moralische Erwägungen verdrängt werden. Dabei bringen unterschiedliche gesellschaftliche Umfelder verschiedene Muster denunziatorischen Verhaltens hervor — von der persönlichen Bevorteilung bis zur staatlichen Herrschaftssicherung und Kombinationen aus beiden. Womöglich ist die Denunziationsneigung innerhalb der Bevölkerung besonders in Zeiten diffuser politischer Unsicherheit stark ausgeprägt. Ihre Durchschlagskraft hängt auch von jeweils herrschenden Normen ab. Das Anzeigeverhalten in einer Gesellschaft ist ein Spiegelbild der jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse.

Die drei Künstler*innen ergründen im Rahmen ihrer Gruppenausstellung die Reservoire denunziatorischen Potenzials und Verhaltens und untersuchen, was Reiz, Lust und Faszination an, aber auch was die gesellschaftspolitische Verantwortung im Umgang mit der „Waffe“ der Denunziation ist. Denn durch die sozialen Netzwerke ist die Möglichkeit, denunziatorisch zu reden, weltumfassend gegeben.

Eine Ethik des Umgangs mit unserem Informationsverhalten und dessen Folgen ist unumgänglich, denn so wie es Anzeigen gibt, die ethisch geboten (ein Kind wird vernachlässigt) oder Meldungen an Staat oder Institutionen notwendig sind, sind andere gesellschaftlich höchst problematisch und können für das Individuum vernichtend sein. Die Angeschwärzten haben oft unter vehement beschädigtem Vertrauen zu leiden, Denunzierte bezahlten in der Geschichte nicht selten mit dem Leben.

Denunziation in unserem Alltag? In einer Kneipe herrscht trotz Rauchverbots dicke Luft, ein Nachbar hat verbotenerweise einen Baum abgesägt, der Besuch eines Hausmitbewohners war weder verwandt noch trug er Mund-Nase-Maske, ein anderer hält sich zuhause Stinktiere, die Ex-Frau hat bei den Steuern gemogelt, die Hartz-IV-Empfängerin lebt in einer viel zu großen Wohnung und fährt ein dickes Auto, eine Partei richtet gar Beschwerdeplattformen „Meldeportal Neutrale Schule“ für Schüler*innen und Eltern gegen „einseitigen“ Unterricht von Lehrer*innen ein — ein Baustein ins Totalitäre: Es blüht, das Denunziantentum!

Teilnehmende Künstler*innen und ihre Arbeiten

DIREN DEMIR (TR)
RAOOFEH ROSTAMI (IR)
JIAQING MO (CN)

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